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NLP und Politik [Teil 2/3]: Politische Rhetorik

Auf diesem Bild sind 2 bekannte Gesichter der österreichischen Politik zu sehen.

[box type=“info“] In diesem Artikel werden die Sprachmuster der politischen Rede aufgezeigt und anhand der Wahlplakate aus der Bundespräsidentschaftswahl 2016, sowie von zwei Reden von Christian Kern und Sebastian Kurz analysiert.goes here[/box]Im ersten Teil dieser Serie sind wir der Frage nachgegangen, ob NLP in der Politik eingesetzt wird und welche Kommunikationsmodelle dahinter stecken.

Nachlesen kannst du diesen Artikel hier: NLP und Politik [1]: Nutzen Politiker NLP?

Nachdem wir das bejahen konnten, möchte ich in diesem Artikel sehr konkret auf die Techniken und Wirkungsweisen des Milton-Modells eingehen, welches in der politischen Rede bzw. der politischen Rhetorik eingesetzt wird.

Erinnern wir uns: das Ziel der Rhetorik ist lediglich, eine gewisse Wirkung zu erzeugen, eine Idee zu übermitteln bzw. zu Handlungen anzuregen. Es dreht sich dabei definitiv nicht um den Inhalt des Gesagten, wie wir in diesem Artikel erfahren werden. Die eingesetzten Sprachmuster entstammen der Gesprächshypnose und sind somit universell auf jedes Thema anwendbar.

Bevor ich in diesem Artikel jedoch konkrete Beispiele aus Reden und Plakaten aufzeige, muss zuerst auf die einzelnen Sprachmuster des Milton-Modells eingegangen werden.

Das Milton-Modell

Es besteht aus 21 ausgewählten Sprachmustern, welche die beiden Gründer des NLP, John Grinder und Richard Bandler, aus ihrer Arbeit mit dem Begründer der modernen Hypnose, Milton H. Erickson, modellierten und schlussendlich verschriftlichten.

Hypnose arbeitet generell mit sehr vagen Aussagen und Worthülsen, mit denen die Klienten und Klientinnen in einen Trancezustand gebracht werden. Das funktioniert deshalb so gut, weil der Inhalt der Worthülsen automatisch und durch den Mangel an Details vom Zuhörer mit eigenen Erfahrungen und Erinnerungen gefüllt werden kann. Die Theorie dahinter ist im entferntesten Sinne die, dass unser Unterbewusstsein unser Freund und Helfer ist und alle Ressourcen, die wir für eine Veränderung brauchen, bereits in uns stecken. Hypnose gibt dann den vagen Rahmen vor, welcher vom Unterbewusstsein mit eigenen Handlungsstrategien gefüllt wird.

Die Wirksamkeit der Hypnose ist übrigens mittlerweile sehr gut wissenschaftlich erforscht und medizinisch wie auch therapeutisch anerkannt [1]. Da es in diesem Artikel jedoch nicht um Hypnose gehen soll, bleibt es an dieser Stelle bei dieser ebenso vagen Erklärung.

Viel wichtiger ist jedoch die Anwendung in der Rhetorik: wenn wir es schaffen, Aussagen hypnotisch zu formulieren, können wir damit garantieren, dass wir jeden Menschen erreichen und bestimmt jeden mit unseren Aussagen abholen.

Ich werde nun in der Folge auf 4 der 20 Sprachmuster und ihre unterbewusste Funktionalität eingehen und diese nachfolgend in ganz konkreten Beispielen aus Wahlplakaten und politischen Reden analysieren.

Nominalisierungen:

Nominalisierungen sind Verben oder Adjektive, die zu Hauptwörtern gemacht werden.

Beispiele sind:

  • Freiheit → von frei
  • Sicherheit → von sicher
  • Schönheit → von schön
  • Angst → von ängstlich

 

Während für die eine Person der Inbegriff von Freiheit ist, mit einem Mustang-Cabrio die Route 66 dahinzubrettern, kann das für den anderen ein Picknick mit der Familie sein. Beide nennen es Freiheit, sprechen tun sie aber von zwei gänzlich unterschiedlichen Dingen.

Der Einsatz von Nominalisierungen führt zu mehreren unbewussten Prozessen.

  1. Sie machen Dinge größer und wichtiger, als sie eigentlich sind: Führe dir doch einfach mal vor Augen, was der subjektive Unterschied zwischen „Ich habe Stress„ und „Ich bin gestresst” ist. Ersteres wirkt viel größer.
  2. Sie machen Dinge unveränderbar: Nominalisierungen frieren den Prozess ein. Während „Ich bin gestresst„ einen temporären Zustand beschreibt, der sich bald ändern kann, wirkt „Ich habe Stress” statisch, unveränderbar und endgültig.

Politisch gesehen könnte ich nun Folgendes sagen:

  • Sicherheit ist eine wichtige Ressource.
  • Die Freiheit muss bewahrt werden.
  • Die Schönheit ist gefährdet.
  • Die Zeit der Angst ist vorbei.

 

Jede dieser Aussagen wird von den meisten Personen bejaht werden, gerade weil nicht genau definiert ist, was damit gemeint ist und man so das eigene Verständnis heranzieht. Der Kontext macht hier die Musik. Um herauszufinden, was genau damit gemeint ist, müsste man nachfragen. Das ist aber bei Plakaten und Reden nicht möglich.

Wollen wir also Dinge größer und unveränderbarer machen, als sie eigentlich sind, nutzen wir Nominalisierungen.

Unspezifische Verben und Adjektive

Sie sind die kleinen Brüder der Nominalisierungen. Sie wirken nicht ganz so groß und unveränderbar, dennoch können sie immer noch sehr unspezifisch sein.

Beispiele sind:

  • gerecht
  • sicher
  • stark
  • unabhängig

 

Wie du richtig bemerkst, kann aus jedem dieser Worte wiederum eine Nominalisierung gebildet werden.

Folgende Aussagen könnten wir aus der Politik kennen; sie enthalten unspezifische Verben und Adjektive:

  • Österreich muss wieder gerecht werden.
  • Mit uns bist du sicher.
  • Gemeinsam sind wir stark.
  • Nur unabhängig sind wir frei.

 

Auch bei den oben genannten Beispielen wird schnell ersichtlich, dass auch diese Aussagen alles bedeuten können, was man interpretieren möchte. Der Hörer/die Hörerin selbst gibt erst die Bedeutung durch die automatische unbewusste Verknüpfung mit Erfahrungen.

Komplexe Äquivalenz

Einem anderen sprachlichen Muster folgen komplexe Äquivalenzen. Es sind keine einzelnen Worte, sondern Sätze, die zwei voneinander unabhängige Themen so miteinander verknüpfen, dass sie plötzlich einen Zusammenhang ausdrücken.

Mathematisch könnte man es mit x = y ausdrücken. Damit es für dich etwas greifbarer wird, hier ein paar Beispiele aus der Politik dazu.

  • Neuwahlen sind ein Verrat am Volk.
  • Erfahrung macht stark.
  • Eine Koalition mit dieser Partei ist der Untergang.
  • Heimat braucht Zusammenhalt.

 

Abgesehen davon, dass in Sätzen mit komplexen Äquivalenzen immer auch unspezifische Verben/Adjektive und Nominalisierungen vorkommen, ist hier vielmehr die Struktur spannend.

Würde ich dich fragen, was für dich Verrat am Volk bedeutet, würde dir wahrscheinlich vieles einfallen, aber Neuwahlen? Neuwahlen haben damit objektiv gesehen nichts zu tun, erst durch den Aufbau des Arguments werden die beiden Begriff in Verbindung gebracht und bekommen so eine gemeinsame Bedeutung.

Selbiges gilt auch für alle anderen Sätze. Erfahrung kann auch lähmend oder engstirnig sein. Eine Koalition kann auch neue Sichtweisen eröffnen und Heimat kann auch Individualismus brauchen. Es gäbe hunderte Möglichkeiten, und gerade weil es so viele Möglichkeiten gebe, sollte man stets die Intention hinterfragen, warum zwei Begriffe in Verbindung gebracht werden.

Denn Bilder entstehen in unserem Kopf viel schneller, als unser bewusster Verstand etwas dagegen unternehmen könnte. Das bedeutet, in dem Moment, wo es gesagt wurde, ist es eigentlich schon passiert (denke jetzt nicht an deinen letzten Urlaub!). Es bräuchte sehr viel kritisches Hinterfragen, um die Verbindungen aufzubrechen. Leider sind die Sprachmuster nur wenigen Menschen bekannt, und oftmals bleibt auch gar nicht Zeit, sich kritisch damit auseinanderzusetzen.

Universelle Mengenangaben

Das letzte der hier vorgestellten Muster sind die universellen Mengenangaben. Es sind Wörter, die einen sehr absoluten Charakter haben.

Ein paar Beispiele:

  • alle
  • jeder
  • niemand
  • keiner
  • immer
  • nie

 

Auch sie machen Dinge größer oder schlimmer, als sie eigentlich sind. Denn in Wahrheit sind solche Begriffe zu 99 Prozent unzulässig, da es fast immer mindestens ein Gegenbeispiel gibt, welches die Aussage falsifiziert.

Deutlicher wird es mit folgenden Beispielen aus der Politik:

  • Sie ist immer an Ihrer Seite.
  • So hilft Ihnen niemand.
  • Es war noch nie so schlecht wie jetzt.
  • Alle regen sich auf, aber niemand tut was dagegen.

 

Wir wissen natürlich, dass die Person nicht immer an unserer Seite ist, oder sonst niemand hilft. Dennoch vermitteln diese Aussagen eine gewissen Stärke, und durch ihre scheinbar absolute Gültigkeit zweifeln wir weniger daran.

So viel zur Theorie, jetzt geht es in die Praxis, denn im nächsten Kapitel werde ich die Wahlplakate der Kandidaten und Kandidatin für die Präsidentschaftswahl 2016 in Österreich analysieren.

Politische Rhetorik auf Wahlplakaten

Sehen wir uns nun die Wahlplakate der Kandidaten und Kandidatin aus dem Jahr 2016 an. Aus urheberrechtlichen Gründen darf hier an dieser Stelle kein Foto erscheinen. Unter folgendem Link findest du allerdings ein Sujet aller Plakate.

https://goo.gl/images/D8ePrX

Hier nun die Sprüche in Textform:

Alexander Van der Bellen: „Heimat braucht Zusammenhalt.“

Rudolf Hundstorfer: „Mit Sicherheit. Immer für uns.”

Irmgard Griss: „Unabhängig. Für Österreich.”

Norbert Hofer: „Aufstehen für Österreich. Deine Heimat braucht dich jetzt.”

Andreas Kohl: „Erfahrung macht stark.”

Gehen wir diese Aussagen nun Schritt für Schritt durch. Denn wie du bereits richtig erkannt hast, stecken viele Milton-Muster in diesen kurzen Sprüchen. Allesamt sehr unscharf und voll von Interpretationsspielraum.

„Heimat braucht Zusammenhalt.” (Alexander Van der Bellen)

Es sind genau drei Wörter, und bei genauerem Hinsehen stecken hierin 4 Milton-Muster. Ein Meisterwerk. Heimat und Zusammenhalt sind beides Nominalisierungen, braucht ist ein unspezifisches Verb und der ganze Satz ist eine komplexe Äquivalenz, da er zwei Dinge in Verbindung bringt, die nichts miteinander zu tun haben, nämlich Heimat und Zusammenhalt.

Niemand würde diesem Satz widersprechen, und dennoch ist nicht ausreichend klar, was genau gemeint ist.

Was genau ist Heimat? Geht es hier um objektive Grenzen oder subjektive Zugehörigkeit, den Geburtsort oder den Wohnort? Kann Heimat frei gewählt werden oder wird sie wie eine Staatsbürgerschaft ausgehändigt? Oder bedeutet Heimat gar, mit seinen Liebsten zusammen zu sein? Es gibt Millionen Definitionen, ungefähr genauso viele, wie es Menschen gibt.

Selbiges Spiel könnte man auch mit dem Wort Zusammenhalt spielen. Viel spannender ist jedoch die Verwendung des Wortes brauchen. Es stellt einen Zusammenhang zwischen Heimat und Zusammenhalt her. Hier könnte die Frage gestellt werden, was denn genau die beiden Worte verbindet? Kann denn Heimat nicht auch Gastfreundschaft brauchen? Oder gar Weltoffenheit den Zusammenhalt brauchen?

Wie immer geht es um die Wirkung, die diese Worte auf den Leser/die Leserin haben. Denn es hat einen guten Grund, warum genau dieser Satz gewählt wurde. Diesen kann ich hier nur erahnen.

Führt man sich jedoch vor Augen, dass andere Kandidaten auch den Heimatbegriff für sich beanspruchen und dieser in der Bevölkerung sehr in Mode ist, war es ein genialer Schachzug, diesen ebenso zu benutzen und in einen anderen Kontext zu setzen.

„Mit Sicherheit. Immer für uns.” (Rudolf Hundstorfer)

Hier finden wir zwei der oben beschriebenen Sprachmuster. Zum einen wieder den Begriff der Sicherheit als Nominalisierung und zum anderen das Wort immer, als universelle Mengenangabe.

Über das Wort Sicherheit wurde schon einiges geschrieben, das Wort immer an dieser Stelle verstärkt diesen Begriff, in dem es suggeriert, der Kandidat sei uneingeschränkt verfügbar. Auf einer logischen Ebene wissen wir, dass dies nicht der Wahrheit entspricht. Doch solange wir die Aussage nicht bewusstmachen und verneinen, wird sie unterbewusst 1 zu 1 angenommen.

Auch hierbei geht es wieder um die Intention der eingesetzten Worte. Sicherheit ist einer der wichtigsten Werte für Menschen [2]. Er bildet die Basis. Fühlen wir uns unsicher, tritt vieles in den Hintergrund. Unter diesem Gesichtspunkt ist es eine gute Idee, diesen Begriff für sich zu beanspruchen.

„Unabhängig. Für Österreich.” (Irmgard Griss)

Unabhängig ist ein relativ schwaches Wort, stellt es doch lediglich ein unspezifisches Adjektiv dar. Unbewusst würde das Wort Unabhängigkeit stärker wirken. Vielleicht ist es gerade deshalb als aktives Wort (Einwortsatz) formuliert, was es zumindest auf den ersten Blick wie eine Nominalisierung aussehen lässt.

Frau Griss war eine Kandidatin, welche nicht als Mitglied einer Partei angetreten war. Als Juristin und ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofes steht der Slogan für Selbstbestimmung. Dennoch spielt er eher auf ihre Qualifikationen an als auf die Wünsche und Bedürfnisse der Bürger und Bürgerinnen.

Auch der Begriff Österreich stellt eine Nominalisierung dar. Man könnte darunter wiederum vieles verstehen: Ländergrenzen, Sprache, Bürger/Bürgerinnen, Kultur etc.

Ideell lässt es sich in die selbe Kategorie wie Heimat einordnen. Welches Wort nun mehr Emotionen auslöst oder kräftiger wirkt, bleibt dem Leser/der Leserin überlassen.

„Aufstehen für Österreich. Deine Heimat braucht dich jetzt.” (Norbert Hofer)

In diesem Wahlspruch finden wir gleich mehrere interessante Facetten von hypnotischer Sprache. Aufstehen stellt ein unspezifisches Verb dar, das offen lässt, wie genau man aufstehen soll. Außerdem wird es mit dem Begriff Österreich verknüpft.

Auf jeden Fall ist es eine Aussage, welche zur Aktion aufrufen soll. Mit dem zweiten Satz soll der Wähler/die Wählerin in die Pflicht gerufen werden und das Verantwortungsbewusstsein gesteigert werden. Dies finden wir besonders oft in Kampagnen, die eine Veränderung fordern.

Wiederum ist vieles unklar, und man könnte einige Fragen diesbezüglich stellen:

  • Was genau bedeutet aufstehen?
  • Wie ist Österreich zu sehen? (Als Fläche? Als Summe der Bewohner? Summe der Staatsbürger? Summe der Bundesländer? Als Land?)
  • Was ist im Vergleich dazu Heimat?
  • Wie genau werde ich gebraucht?
  • Wie soll man aufstehen?
  • etc.

 

Je nachdem, welche innere Gesinnung der Leser/die Leserin hat, kann de facto alles interpretiert werden. Die Person gibt selbst die Bedeutung.

Die beiden Begriffe Heimat und Österreich wurden ja weiter oben bereits näher analysiert. Die gemeinsame Verwendung in einem Wahlspruch ist jedoch interessant und oft in Parteien mit nationalistischer Ausrichtung zu finden. Es geht eindeutig um die Veränderung des Status quo, und wahrscheinlich sollten damit vor allem unzufriedene Wähler und Wählerinnen angesprochen werden.

„Erfahrung macht stark.” (Andreas Kohl)

Auf ein gänzlich anderes Pferd setzt Andreas Kohl, der offenbar durch Erfahrung punkten möchte. Wie auf den ersten Blick ersichtlich, handelt es sich dabei um eine komplexe Äquivalenz. Erfahrung soll mit Stärke assoziiert werden.

Dabei ist auch klar, dass es sich dabei um ein Scheinargument handelt, da es nicht objektiv überprüfbar ist. Erfahrung könnte auch betriebsblind oder träge machen. Jugendliche Frische oder Vitalität könnten im Gegensatz auch stark machen.

Wichtig ist abermals der Kontext, in den dieser Slogan gesetzt wird. In einer Phase der Politikverdrossenheit, in der die meisten Wähler Veränderung möchten und alte Strukturen aufgebrochen werden sollen, ist es wohl nicht die beste Strategie, zu verstärken, dass man seit langer Zeit dieser Struktur angehört. Dies hätte man geschickter machen können, indem man z. B. Erfahrung nutzt, um Schwachstellen aufzudecken und Veränderung voranzutreiben.

Wie bei der Wahl später ersichtlich, war dies tatsächlich nicht die beste Strategie.

Rhetorik in Reden

Wie bei Wahlplakaten, kommt es auch bei der Formulierung der Themen bei Ansprachen immer auf den Kontext und die Stimmung der Bevölkerung an. Dementsprechend werden die Programme und Reden ausgearbeitet.

Aus gegebenem Anlass möchte ich an dieser Stelle auf die diesjährige Nationalratswahl eingehen. Genauer gesagt auf zwei Reden, die erst kürzlich veröffentlicht wurden.

Die erste stammt vom österreichischen Bundeskanzler Christian Kern am Bundesparteitag der SPÖ und die zweite vom Außenminister Sebastian Kurz am Bundesparteitag der ÖVP.

Beide Reden sollen nun anhand der oben beschriebenen Sprachmuster analysiert werden.

Ich möchte anmerken, dass die Auswahl der beiden Reden ausschließlich Analysezwecken dient. Der Grund, warum die beiden Politiker Kern und Kurz ausgewählt wurden, liegt an der Tatsache, dass die Reden ungefähr zur gleichen Zeit und im selben Kontext entstanden.

Selbige Sprachmuster hätten auch mit Politikern und Politikerinnen aller anderen Parteien analysiert werden können, weil ausnahmslos jeder und jede sie verwendet.

Des Weiteren soll die Analyse zwar bis zu einem gewissen Grad subjektive Äußerungen enthalten, jedoch auf beiden Seiten und deshalb keinerlei Präferenz des Autors widerspiegeln.

Christian Kern am Bundesparteitag der SPÖ:

Das Video ist an dieser Stelle eingebettet, die besprochenen Passagen finden sich mit Zeitangaben unter dem Video:

Christian Kern wählt einen sehr kurzen und prägnanten Einstieg. Schon sehr früh stellt sich heraus, worum es in dieser Rede gehen wird. Nämlich um Tradition und Standhaftigkeit.

Message: Tradition ist gut.

Das ist auch wenig verwunderlich, hat doch sein größter Konkurrent Sebastian Kurz Veränderung versprochen und eine Bewegung aus einer etablierten Partei gemacht. Christian Kern nimmt hier die Gegenposition ein und möchte zeigen, dass es ruhig so bleiben kann, wie es ist, damit es gut wird.

[Minute 1:45] „Unsere Idee hat eine stolze Geschichte.”

Schon bei diesem Satz nach 1:45 wird klar, wie mit einer komplexen Äquivalenz das Wort der eigenen Idee mit der Phrase stolze Geschichte assoziiert werden soll. Das impliziert, dass man stolz auf Vergangenes sein kann.

Als geübter Zuhörer bzw. Zuhörerin könnte man interpretieren, man wolle nichts verändern und sich stattdessen auf vergangenen Erfolgen ausruhen.

[Minute 1:53] „Alle Menschen sind gleich viel wert, und alle haben das Recht auf ein gutes Leben.”

In diesem Satz soll nochmals auf den sozialen Gedanken hingewiesen werden, so viel ist klar. Wir erkennen auch die Sprachmuster, nämlich Menschen, Wert, Recht und Leben als Nominalisierungen, haben und gutes als unspezifische Verben bzw. Adjektive und alle als universelle Mengenangabe.

Die Häufigkeit dieser Muster in diesem Satz macht ihn jedoch sehr unverständlich und allgemein. Niemand weiß, wie der Wert gemessen wird oder ein gutes Leben aussieht.

Bedeutet das jetzt, dass jeder gleich viel verdienen soll, unabhängig von der Ausbildung oder des Berufs oder dass jeder dieselbe Bildung bekommen soll? Heißt gutes Leben ausreichend zu essen oder die Möglichkeit, auf Urlaub fahren zu können? Oder vielleicht eine gute Krankenvorsorge?

Man könnte hier jedes Argument anhängen, und genau das macht diese Form der Sprache so wirkungsvoll.

[Minute 2:31] „Unsere Idee ist aktueller denn je, und sie ist größer als alle anderen. Und diese, unsere Idee war immer der Maßstab für unser politisches Handeln. Sie war der Wertekompass, mit dem wir für die Menschen in Österreich gearbeitet haben. Genauso wie vor 100 Jahren, wie sie das heute ist, wenn es um die Zukunft Österreichs geht.”

  • Woran bemisst sich größer? Größer als was genau?
  • Ist sie wirklich größer als alle anderen? Oder gibt es eine Idee, die noch größer ist?
  • Woran wird aktuell gemessen? Nach welchem Maßstab?
  • Für welches politische Handeln? (Es gibt tausende Handlungen, die PolitikerInnen jedes Jahr setzen)
  • Welcher Wertekompass konkret? Was steht drinnen? Haben wirklich alle damit gearbeitet?
  • Was ist das für eine Zukunft? Wie konkret soll sie aussehen?

 

Man könnte weitere Fragen stellen. Alles in allem sehr unspezifisch. Aber es führt zu einer sehr spannenden Argumentationslinie hin. Jetzt soll nämlich der Vorteil von Tradition unterstrichen werden. Wie genau? Mit einer Reihe von komplexer Äquivalenzen, die erfolgreiche Handlungen aus der Vergangenheit mit Handlungen aus der Gegenwart gegenüberstellen und diese somit rechtfertigen sollen.

Ab Minute 2:55:

Vor 100 Jahren/früher:

  • Für Frauenwahlrecht gekämpft
  • Mädchen Zugang zu Bildung/Arbeiterkinder Chance für sozialen Aufstieg
  • Staatliches Pensionssystem
  • Mit Bruno Kreisky für Modernisierung Österreichs gekämpft
  • Gegen Auswüchse des Kapitalismus gekämpft

Heute:

  • Gleiche Löhne für gleiche Arbeit
  • Jugendliche beste Ausbildung auf besten Schulen und Universitäten
  • Pflege für jeden leistbar
  • Spitze Österreichs/Innovation
  • Sonderrechte und Privilegien der internationalen Konzerne

 

Durch diese Gegenüberstellung wird das Argument untermauert, dass die Tradition im übertragenen Sinne stark macht. Auch das Wort kämpfen kommt sehr häufig vor, was dem Gedanken des Kampfes für Gerechtigkeit entspricht.

Natürlich könnte man dieselbe Argumentationslinie auch benutzen, um die Nachteile von Tradition oder Beständigkeit herauszustreichen. Eine Argumentation, die wir bei Sebastian Kurz im nächsten Video sehen werden.

Denn es kommt nicht auf die Worte selbst an, sondern lediglich darauf, was wir damit machen.

Sebastian Kurz am Bundesparteitag der ÖVP:

Message: Veränderung ist gut.

Sebastian Kurz setzt auf sehr viel Persönlichkeit und beginnt die Rede weniger direkt mit einer persönlichen Geschichte über die Schwierigkeiten zu Beginn seiner Politikkarriere, als Staatssekretär für Integration. Diese beginnt ab Minute 0:25.

Natürlich könnte man auch die Sprachmuster der Geschichte analysieren. Viel wichtiger ist jedoch die Intention, genau diese Geschichte überhaupt zu erzählen. Denn sie stellt eine typische Heldenstory dar. Es geht um den Jungen, der seiner Aufgabe nicht gewachsen war, mit viel Gegenwind kämpfen musste und nur mithilfe seiner Mentoren und dem Glauben an sich selbst den Durchbruch schaffte.

Einen ähnlichen Aufbau finden wir in den meisten Hollywood-Filmen. Dies macht Sebastian Kurz menschlicher, denn es zeigt Schwächen, und Schwächen machen sympathisch. Es ermöglicht uns, mit ihm mitzufühlen. Außerdem sorgt er währenddessen für viele Lacher, was dieses Image verstärkt.

Typische Aussagen dafür finden wir z. B. bei Minute 6:13: „Nicht mehr alles lesen, was über mich geschrieben wurde. Ich versuche das zu tun, was ich für richtig halte. Das war damals so, ist auch heute so, und ich habe nicht vor, das in Zukunft zu verändern.”

Was er außerdem mit seiner Story schafft, ist ein gekonnter Übergang zu seiner Argumentation der Hauptaussage:

[Minute 6:38] „Es steht außer Streit, das tun, was richtig ist, ist nicht immer das Leichteste. Es fordert den Mut, das auszusprechen, was Sache ist.”

Eine äußerst vage Aussage und nebenbei noch ein Totschlagargument. Denn wenn es außer Streit steht, würde es wohl kaum jemand hinterfragen. Genau das ist auch der Sinn der Formulierung. Denkt man persönlich darüber nach, könnte ich aus eigener Erfahrung sagen, dass es schon sehr leicht ist, das Richtige zu tun. Eigentlich fällt es mir schwerer, das Falsche zu tun.

Doch selbst dann bleiben immer noch die Fragen:

  • Was ist das Richtige?
  • Was ist das Leichte?

 

Beides wird nicht spezifiziert.

Sehr geschickt ist die komplexe Äquivalenz zwischen Mut und aussprechen, was Sache ist. Denn schließlich möchte jeder mutig sein, und offenbar muss man aussprechen, was Sache ist, wenn man mutig sein will.

Natürlich hat das eine mit dem anderen rein gar nichts zu tun. Aber es klingt gut.

Und vor allem gelangt er zu seinem Kernpunkt, seinem Statement:

[Minute 7: 35] „Und Veränderungsbereitschaft ist oftmals bei uns nicht wirklich gegeben … Ich liebe dieses Land, aber ich bin gleichzeitig davon überzeugt, dass, wenn wir es wirklich lieben, dann sollten wir nicht zufrieden sein damit, wie wir heute dastehen. Dann sollten wir alle versuchen, dran zu arbeiten, dass wir besser werden.”

Ab diesem Zeitpunkt baut er eine sehr spannende Argumentation wieder in Form einer komplexen Äquivalenz auf. Denn im Grunde genommen sagt er, wer sein Land liebt, darf nicht mit dem Status quo zufrieden sein, sondern muss daran arbeiten, dass es besser wird.

Hier werden auch die Unterschiede zur Rede von Christian Kern deutlich. Denn während Kern sich auf traditionelle Herangehensweisen beruft, eher den Blick in die Vergangenheit sucht und mit gleichem Einsatz wie immer kämpfen will, stellt Kurz den Status quo in Frage und sagt, man müsse an der Zukunft arbeiten.

Dies tut er in folgenden Passagen sehr deutlich:

[Minute 8:12] „Es reicht nicht, zu sagen, wir haben das beste Sozialsystem der Welt, obwohl wir wissen, dass wir jedes Jahr mehr investieren und die Qualität nicht steigt.”

[Minute 8:23] „Es reicht nicht, zu sagen, dass wir besser durch die Krise gekommen sind als andere, obwohl es mehr und mehr Länder in Europa gibt, die uns schrittweise, aber doch, überholen.”

[Minute 8:35] „Es reicht vor allem auch nicht, die Willkommenskultur zu beschwören, ohne daran zu denken, wie das mit der Integration in der Zukunft funktionieren soll.”

Diese Argumentation steht im krassen Gegensatz zu jener von Kern. Machen wir uns nochmals deutlich, dass Kern Tradition als Vorteil herausstreicht, während Kurz dasselbe mit Veränderung tut. Zwei Gegensätze, die durch gezielte Argumentation einen Vorteil bedeuten sollen? Das ist die Macht der Worte und der Rhetorik.

An dieser Stelle möchte ich nochmals anmerken, dass die Möglichkeiten der Analyse schier unendlich erscheinen und ich mich nur auf ein paar relevante Punkte beschränkt habe.

Es steht dir als Leser oder Leserin frei, mein Analyseraster der hypnotischen Sprache nach Milton H. Erickson zu nutzen, um deine eigene Analyse weiterzuführen.

Zur Erinnerung:

  • Nominalisierung
  • unspezifische Verben
  • komplexe Äquivalenzen
  • universelle Mengenangaben

 

Wie ich dir am Anfang des Artikels beschrieben habe, gibt es 21 dieser Muster, was die Komplexität von Sprache noch weiter unterstreicht und für dich ein Grund sein sollte, dich näher mit der Materie zu beschäftigen.

Wie? Schreibe mir einen Kommentar oder eine Nachricht.

Alles Liebe,
Mario


Fotos:
Alle Fotos wurden unter der Attribution-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0)
 Lizenz zur Verwendung freigegeben .

Fotoquellen:
Christian Kern: flickr.com | SPÖ Presse und Kommunikation
Sebastian Kurz: flickr.com | Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres

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Die Redaktion von myNLP besteht ausschließlich aus NLP LehrtrainerInnen, ausgebildet von Dr. John Grinder (ITANLP), die wertvolle Inhalte auf dem Blog von myNLP veröffentlichen. Zu den Redakteuren zählen auch die beiden Gründer von myNLP, Mario Grabner und Patrik Shnawa.
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